90er Jahre in Georgien

Wenn man die dunklen 90er vermisst...

ich möchte über das schreiben, was wir “die dunklen 90er Jahren” genannt haben. Dunkle Zeit im indirekten  und direkten Sinne:
 Plötzlich wurde es dunkel, Elektrizität verschwand in Georgien. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, der erwartete Freiheit bringen sollte, fiell plötzlich alles auseinander. Die Wirtschaft ging um 75 Prozent zurück, mehr als Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte. Strom, Warmwasser, Heizung, Gas, alles ist plötzlich weg … Installation von Holzofen in Tiflis ist eine gemeinsame Geschichte geworden.

Trotzdem scheinen die 90er Jahre immer noch einen besonderen Reiz zu haben, weshalb auch heute noch die  Partys  stattfinden, die an diese Zeit uns erinnern sollen.

Für einige sind die 90er Jahre mit Kindheit verbunden, für andere mit Jugend und Einige wollen überhaupt nicht an die Zeit erinnern, aber wenn sie gefragt werden: “Wer ist er?”,  Er antwortet ohne zu denken, dass er ein 90er Kind ist”.  Diese zehnjährige Periode war ziemlich schwer zu überwinden, aber die Dunkelheit, die Kälte,  die endlosen Warteschlangen fürs Brot und Öl behalten auch süße Erinnerungen. Jetzt verstehst du über welche Paradoxien ich spreche ?!

Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass die 90er Jahre etwas Positives haben könnte, aber dann hatte die  Isolation von der Außenwelt etwas besonderes: Die Menschen konnten besser hören und miteinander sprechen. Es passierten viele interessante Dinge und all dies mit seinen Dialogen oder Szenen war ein kleiner Film, ein Film, den man nur in seinem Kopf aufnehmen und sich erinnern konnte. So wurden Erfahrungen gesammelt, viele Geschichten erzählt und Fantasie geschaffen, eine Fantasie unserer jüngste Vergangenheit.

Fast jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit saß ich mit anderen Jungs am Holzoffen und wollten nicht nach Hause gehen, weil es in der Wohnung kälter war.

Fast jeden Abend vor Einbruch der Dunkelheit saß ich mit anderen Jungs am Lagerfeuer, das von den alten Reifen  angezündet wurde und wollten nicht nach Hause, weil es in der Wohnung kälter war. Wenn wir Zigaretten oder Wodka uns leisten könnten, haben wir wie Brüder geteilt. Wir haben Magna-Zigaretten geraucht, ich glaube, in Tiflis gab es keine andere Zigaretten. Magna wurde eine Geldeinheit bei Jungs, weil damalige Währung Kupon nichts wert war, Inflazionsrate war mehr als 15 Tausend gewesen. Wir berechneten alles im Magna-Preis. Wodka kostet 2 Magnas,  für 1 Magna hätte ich 1 Bier oder 4 limonade kaufen können… Plötzlich verschwand Magna aus den Läden, Gerüchte verbreiteten sich: Magna sei gesundheitsschädlich. Stattdessen erschien andere Zigarettenmarken, die der Gesundheit dienten.

Ohne Elektrizität verdunkelte Tbilisi, fingen die Leute an, kleine Stromgenerator zu kaufen. Diese Geräte waren nicht so billig und nur wenige konnten sich leisten. Wir hatten dieses Gerät auch in der Familie und so war unsere Wohnung ein öffentlicher Treffpunkt, besonders abends.

Abends wurde eine brasilianische Liebesfernsehserie ausgestrahlt und so wurde der Fernsehraum von den Nachbarnfrauen okupiert. Sklavin Izaura, ich glaube, das war der Name der TV-Serie und zwei Stunden lang stöhnten und seufzten Frauen hinter verschlossenen Türen. Die Männer tranken Wein im Nebenzimmer und Izaura war dort auch ein Gesprächsthema: Hätte man keine schönere Schauspielerin wählen können? Siehst du die Fernsehserie? Nein, so ein Unsinn  würde ich nie schauen! Aber geheim sahen alle zu, glaube ich.

 Einmal in der Woche, Wenn Fußball lief, war es auch Zeit für die Männer. Wir haben Frauen aus dem Raum geworfen und triumphierend vor dem Fernseher gesetzt. Ich erinnere mich, dass die georgische Nazionalmannschaft gegen die deutsche spielte, wir waren in den ersten 10 Minuten 1: 0 vorne gewesen und plötzlich fiel unser Gerät  aus. Wir haben eine halbe Stunde gebraucht um den Generator zu reparieren und Spielstand war schon 4 zu 1 für die deutsche Nazionalmanschaft. Immerhin wäre es besser gewesen, wenn wir es nicht getan hätten, sonst wüssten wir immer noch, dass wir Sieger waren.

     Die lang erwartete Freiheit ermöglichte uns  ausländische Filme anzusehen, amerikanische Filmstars erschienen auf blauen Bildschirmen. Einer der ersten Filme, die gezeigt wurde, war „Over the Top“ mit Sylvester Stallone in Hauptrolle. Der Film handelt von einem Trucker, der versucht, seinen entfremdeten Sohn zurückzugewinnen und Weltmeister im Armdrücken zu werden. Am nächsten Tag in der Schule bekämpften wir alle im  Armdrücken miteinander.  Das führte dazu, dass wir in wenigen Monaten 6 Weltmeister im Armdrücken aus Georgien hatten, davon 5 aus kleine Bergregion Swanetien.

Während der Stromausfallzeit war die U-Bahn ein Ort, an dem der Strom stabiler war als andere. Es gab Familien, die im Gegensatz zu anderen Licht hatten – Sie schafften illegal Strom aus der U-Bahnlinie zu stehlen.  Trozdem wurde das Licht in der U-Bahn oft ausgeschaltet und zu dieser Zeit mussten die Leute aus dem Tunnel zu Fuss weiter gehen. Das war eine ziemlich abenteuerliche und lustige Geschichte für die Kinder gewesen. Nicht weniger beliebt war der sogenannte Trolleybuss, an den sich die aktuelle Generation nur auf Bildern erinnert. Draußen hingen mehr Leute als im bus drinnen. Zu diesem Zeitpunkt bezahlte tatsächlich niemand die Fahrt, obwohl dies überraschenderweise den Transport nicht behinderte. Auf einem Trolleybuss rumhängend reisen war ein unterhaltsames Hobby für die Kinder gewesen.

   Wir haben noch viele weitere Geschichten an die wir uns gerne erinnern. Die Erinnerungen, die in unseren Köpfen hängen bleiben, verschwinden nicht spurlos. Diese Zeit erzeugt so viel Nostalgie, dass es immer ein Thema der Diskussion und Argumentation sein wird.  Es war eine Zeit, in der es kein Gas, kein Licht, kein Wasser gab, aber es gab menschliche Beziehungen. Der Ball wurde den Jungs auf dem ganzen Hof serviert, Kaffee für den Gast “ausgeliehen”, gemeinsame lernen von Unterricht durch das Licht einer Lampe… diese Sachen bleiben als schöne Erinnerungen für uns. Damals waren die Beziehungen realer.  Jeder kannte jeden, Sie ertrugen die Dunkelheit zusammen, die Nachbarschaft war anders wie die Verwandtschaft. Vielleicht ist dies der wahre Grund, warum wir diese schreckliche Jahre so wermissen.

Dieser Bericht hat David Vacharadze aus eigener Erfahrung geschrieben . David ist deutschsprachiger Reiseleiter und führt die Touren durch seine Heimat Georgien.